1962 wurde in Monza der Urahn aller sportlichen Limousinen vorgestellt
Plattform-Strategie ermöglichte auch Coupés, Cabriolets und Kombis

Der für die Präsentation gewählte Ort ist kein Zufall. Als Alfa Romeo im Sommer 1962 auf die Rennstrecke im königlichen Park zu Monza einlädt, ist den Journalisten sofort klar, dass es um ein ganz besonderes Automobil gehen wird. Die Giulia 1600 TI mit 92 PS, die in der Formel-1-erprobten Boxengasse zum ersten Mal öffentlich gezeigt wird, begründet tatsächlich ein völlig neues Segment. Eine Kreuzung aus Mittelklasselimousine und Sportwagen.
Tatsächlich hat der neue Alfa Romeo einen Motor unter der Haube, dessen Wurzeln im Motorsport liegen. Block und Zylinderkopf sind aus Aluminium gegossen. Zwei obenliegende, von einer Doppelkette angetriebene Nockenwellen steuern die Ventile. Ein Doppelvergaser sorgt für ein heiser röchelndes Ansauggeräusch. Der Leichtmetallmotor überträgt seine Kraft per Fünfganggetriebe auf die Hinterachse. Auch mit der Höchstgeschwindigkeit von 169 km/h setzt die Giulia 1600 TI neue Maßstäbe im Limousinenumfeld.
Im Frühjahr 1964 lädt Alfa Romeo erneut nach Monza. Anlass ist die Präsentation der Giulia 1300, mit der die Baureihe 105 nach unten abgerundet wird. Die durchgehende Sitzbank vorn ist endgültig Geschichte, ab sofort nehmen Fahrer und Beifahrer in Einzelsitzen Platz. Das Getriebe hat zwar nur vier statt fünf Gänge, dafür aber serienmäßig den Schalthebel auf der Mittelkonsole. Zu erkennen ist die Giulia 1300 an den einzelnen Scheinwerfern und dem Kühlergrill mit nur drei Querstreben, außerdem fällt die Serienausstattung etwas weniger umfangreich aus.
Unter der Haube arbeitet ein bekanntes „cuore sportivo“ – das sportliche Herz entspricht dem 1,3-Liter-Vierzylinder der Giulietta TI. Schnell wird allerdings klar: Seine 78 PS wirken in der fast 100 kg schwereren Giulia etwas untermotorisiert. Erst die Steigerung auf zunächst 82 PS in der Giulia 1300 TI (ab 1965) und später auf 88 PS in der Giulia 1300 Super (ab 1970) sowie die Umstellung auf das besser abgestufte Fünfgang-Getriebe kann die Fans überzeugen. Damit wird auch der kleinere Motor in der Giulia zum Renner.
Noch umfangreicher als für das 1300er Modell gestaltet sich das Programm der Giulia mit 1600er Motor. Ab 1965 wird parallel zum Modell 1600 TI – jetzt mit 90 PS – die Giulia 1600 Super angeboten, die nun 98 PS zur Verfügung stellt. Mittelschaltung, fünf Sitzplätze und 40er Weber-Doppelvergaser sind bei beiden Varianten nun Standard. Die Giulia 1600 TI erhält neue Stoßfänger aus Edelstahl, Im Innenraum muss der Bandtacho klassischen Rundinstrumenten weichen, außerdem gibt es eine Mittelarmlehne für die Rücksitzbank.
1967 werden 1300er und 1600er Giulia optisch überarbeitet. Auch im Armaturenbrett von Giulia 1300 (80 PS) und Giulia 1300 TI (85 PS) finden sich nun Rundinstrumente. Der Fahrer der Giulia 1600 Super (98 PS) greift jetzt nicht mehr in ein spindeldürres Bakelit-Lenkrad, sondern dreht an einem aus dem Coupé Giulia GT stammenden Dreispeichen-Volant.
1969 folgt die nächste Modernisierung. Alle Modellvarianten profitieren von verbesserter Geräuschdämmung und einer hydraulisch betätigten Kupplung. Die Giulia 1600 S ersetzt das Modell 1600 TI. Der in Leistung (96 PS) und Verbrauch leicht reduzierte Motor soll die Eigenschaften als Langstreckenfahrzeug unterstreichen. Das Fahrwerk der Giulia 1600 Super wird durch einen Hinterachs-Stabilisator und ein modifiziertes Reaktionsdreieck noch sportlicher.
Im Modelljahr 1970 greift Alfa Romeo tiefer in die Technik der gesamten Baureihe ein. Die neu benannte Version Giulia 1300 Super (mit Doppelvergaser und jetzt 88 PS) und die Giulia 1600 Super verzögern ab diesem Zeitpunkt mit einem Zweikreis-Bremssystem. Zu erkennen ist diese Modifikation an den nun hängenden Pedalen für Bremse und Kupplung. Dazu kommt die neue Anordnung des Handbremshebels auf der Mittelkonsole und des Zündschlosses links an der Lenksäule. Außerdem werden fortan die beiden Baureihencodes 105 und 115 mehr oder weniger parallel verwendet.
Trotz erfolgreich umgesetzter Plattform-Strategie ist zunehmende Rationalisierung auch in der Fertigung der Giulia ein unverzichtbares Thema. Ab 1972 sind die 1300er und 1600er Versionen bis auf den Motor technisch und auch optisch weitgehend identisch. Die Felgen kommen nun ohne die klassischen Radkappen aus. Damit einher geht eine Änderung der Modellbezeichnung auf Giulia 1.3 und Giulia 1.6 Super.
Ein letztes Mal wird die Giulia-Baureihe 1974 modernisiert, gekennzeichnet durch den Namenszusatz Nuova (italienisch für „neu“). Die vier Hauptscheinwerfer sind nun gleich groß, den Kühlergrill ziert nur noch eine horizontale Chromleiste. Die Kofferraumhaube verliert die seit 1962 charakteristische Sicke – das „Knochenheck“ ist damit Vergangenheit.
Mit einer weiteren Überraschung wartet Alfa Romeo 1976 auf – für die Giulia wird erstmals ein Diesel-Triebwerk angeboten. Die Puristen sind entsetzt, doch aus heutiger Sicht beweisen Entwicklungsabteilung und Marketingstrategen erstaunliche Weitsicht. Sie überlassen das Zukunftspotenzial des Selbstzünders nicht kampflos anderen Marken. Der zugelieferte Perkins-Diesel leistet bei einem Hubraum von knapp 1,8 Litern ohne Turbolader bescheidene 50 PS. Ein Verbrauch von weniger als sechs Litern pro 100 Kilometer ist Mitte der 1970er Jahre aber ein mehr als respektabler Wert. Immerhin über 6.500 Giulia Diesel werden verkauft.